23.10.2002FDP

WESTERWELLE-Interview für "Deutschlandradio"

Der FDP- Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem ?Deutschlandradio? das folgende Interview. Die Fragen stellte FRANK CAPELLAN:

Frage: JÜRGEN W. MÖLLEMANN ist Schuld daran, dass die Freien Demokraten in der Misere stecken, da ist GUIDO WESTERWELLE ganz sicher. Doch der zurückgetretene NRW-Landeschef hat gestern keinen Zweifel daran gelassen: WESTERWELLES Ultimatum, bis morgen die Namen des- oder derjenigen zu nennen, die MÖLLEMANNS antiisraelisches Flugblatt finanziert haben, wird er verstreichen lassen. 'Es ist alles gesagt. Vor meiner Genesung wird es keine weiteren Erklärungen geben', so MÖLLEMANN wörtlich aus dem Krankenlager auf Gran Canaria. FDP-Chef GUIDO WESTERWELLE ist nun bei uns am Telefon. Was nun, Herr WESTERWELLE?

WESTERWELLE: Das wird jetzt seinen ganz normalen Gang nach Recht und Gesetz nehmen. Wenn JÜRGEN MÖLLEMANN die Namen der Spender nicht nennt, dann werden wir natürlich auch einen Rechtsbeistand beauftragen, damit die Namen der Spender herausgefunden werden können. Ich denke, es ist völlig klar, dass die FDP als eine Partei, die für eine transparente Politikfinanzierung steht, schon im Interesse des eigenen Ansehens, aber auch gerade ausdrücklich in Wahrung des Parteiengesetzes darauf setzen muss, dass die Namen der Spender bekannt werden.

Frage: Was kann eine Klage gegen MÖLLEMANN bringen?

WESTERWELLE: Die Namen werden dann mitgeteilt werden müssen, denn die Rechtslage hat sich ja verändert. Wir haben ja nicht mehr das alte Parteiengesetz, was der eine oder andere vielleicht noch im Kopf hat, sondern wir haben eine neue Rechtslage. Deswegen haben wir auch gar keinen politischen oder juristischen Spielraum in der Frage. Es handelt sich ja nicht um eine politische Auseinandersetzung, sondern es geht darum, dass wir ein neues Parteiengesetz seit Sommer haben. Da steht eben drin, dass auch Spenden nicht zerstückelt werden können, dass die Herkunft von Spenden nicht verschleiert werden darf. Und es hat jetzt Vorkommnisse gegeben mit Bareinzahlungen auf ein Konto, das wir einsehen durften, zur Finanzierung dieses Wahlkampfflugblattes. Diese Vorgänge haben Fragen aufgeworfen. Diesen Fragen ist die FDP von sich aus sofort nachgegangen, weil wir ja nun wirklich in den letzten Jahrzehnten gezeigt haben, dass man auch eine saubere, korrekte, transparente Parteien- und Politikfinanzierung durchführen kann. Diesen Ruf werden wir nicht aufs Spiel setzen, und deswegen wird unverzüglich jeder Schritt getan. Wir stehen im klaren, unmittelbaren Kontakt mit dem Bundestagspräsidenten, und unser Bundesschatzmeister handelt rechtlich, fachlich und sachlich, das heißt also, er wird selbstverständlich dann auch die notwendigen rechtlichen Schritte einzuleiten haben.

Frage: MÖLLEMANN hat bereits gesagt: Wenn Ihr die juristische Auseinandersetzung wollt, Ihr könnt sie haben. Das beeindruckt Sie aber nicht?

WESTERWELLE: Nein.

Frage: Sie haben gesagt, das ist ein Fall MÖLLEMANN, kein Fall FDP. Die Distanzierung von MÖLLEMANN ist komplett. Machen Sie es sich da nicht ein wenig leicht?

WESTERWELLE: Wie würden Sie sich denn verhalten, wenn Sie im Laufe von Arbeiten herausfinden, dass ein Sonderkonto eingerichtet worden ist, das verbotenerweise mit Barspenden ausgefüllt wurde, die zum Teil noch anonymisiert wurden, und wo dann sich auch noch herausstellt, dass einige Namen, die angegeben worden sind, real existieren, und wenn man dann die Namen anruft beziehungsweise mit diesen Personen in Kontakt tritt, diese strikt leugnen, jemals überhaupt irgendeiner Partei eine Spende gegeben zu haben?

Frage: Das verstehe ich. Aber es drängt sich doch der Eindruck auf, als werde da ein Sündenbock auch für die Wahlniederlage der FDP gesucht, dass nun alles bei MÖLLEMANN abgeladen wird.

WESTERWELLE: Gut, das behauptet er vielleicht, und behaupten vielleicht auch einige, die sich mit der Sache nicht auseinandergesetzt haben. Wir sind nach Recht und Gesetz verpflichtet, unverzüglich zu handeln. Das tun wir, und das Eine ist ein juristischer Vorgang, und das Andere ist ein politischer Vorgang. Man kann sich sehr wohl auch politisch in Parteien auseinandersetzen, aber juristisch bleibt überhaupt gar kein Handlungsspielraum für die FDP.

Frage: Wird denn auch, wenn das abgeschlossen ist, eine ehrliche Fehleranalyse über den Misserfolg der Liberalen bei der Bundestagswahl folgen?

WESTERWELLE: Zunächst einmal haben Sie Recht, dass wir bei der Bundestagswahl unter unseren Erwartungen, unter unseren Möglichkeiten geblieben sind. Ich glaube, dass das Wahlergebnis sehr viel besser gewesen wäre, wenn wir nicht eine Woche vor der Wahl diese Auseinandersetzung um das Flugblatt erneut bekommen hätten. Aber es ist immer so, dass natürlich auch dann auf einer Klausurtagung die Schlüsse für die Legislaturperiode, für kommende Wahlkämpfe gezogen werden müssen. Wir werden als FDP aber den Weg einer unabhängigen, eigenständigen Partei, einer Partei, die sich an alle im Volke wendet, weiter gehen, denn der Liberalismus gehört nicht nur auf eine bestimmte Etage der Gesellschaft, sondern der ist gut für alle Menschen im Volk. Diesen Weg gehen wir in jedem Fall weiter. Dafür stehe ich auch ganz persönlich. Mit diesem Weg hatten wir bis zu dieser unseligen Antisemitismus-Debatte über 13 Prozent an Stimmen, zum Beispiel in Sachsen-Anhalt bei der Landtagswahl, erreichen können. Das war auch sehr nah an den berühmten 18. Und wir hatten auch bei der Bundestagswahl immerhin einen Zuwachs von 1,2 Prozent. 7,4 Prozent, das ist weit weniger, als wir uns erhofft hatten, weit weniger als das, was drin war, aber immerhin, wenn Sie die letzten fünf Bundestagswahlen nehmen, waren wir dreimal schlechter und zweimal besser.

Frage: Jetzt haben Sie die Wahl wegen MÖLLEMANN verloren?

WESTERWELLE: Es ist sicherlich nie so, dass es nur eine Ursache gibt, aber das, was die Hauptursache ist, diese Debatte eine Woche vor der Bundestagswahl, steht aus meiner Sicht außer Zweifel.

Frage: Haben Sie denn vergessen, dass das Projekt 18, die Idee der Kanzlerkandidatur, auch Ideen von JÜRGEN W. MÖLLEMANN waren?

WESTERWELLE: Wir haben unsere Strategie auf drei Bundesparteitagen fast einstimmig beschlossen, und die Strategie wird nicht dadurch falsch, dass später irgendwo ein Konto gefunden wird, von dem nun wirklich keiner in der Parteispitze auf Landes- oder Bundesebene etwas gewusst hat oder etwas wissen konnte. Und wenn hier gegen Beschlüsse des Landes- oder des Bundesvorstandes eine solche Aktion stattfindet, dann ändert das nichts an dem Willen der Freien Demokraten zu wachsen. Aber wir wollen eben als liberale Partei wachsen, als eine Partei, die für Weltoffenheit, Toleranz und Leistungsbereitschaft steht. Und wir werden bestimmt nicht im Trüben fischen. Das ist auch eine klare Richtungsfrage der Freien Demokraten, die aber eindeutig auch bei allen Sitzungen des Parteivorstandes, des Präsidiums und der Landesgremien entschieden wurde.

Frage: Allerdings wird Ihnen auch das vorgeworfen, dass Sie populistisch mit dem Feuer gespielt hätten, dass Sie MÖLLEMANN zu lange haben gewähren lassen, um mal zu sehen, wie weit man gehen kann, um auch Wähler am rechten Rand zu gewinnen. Aber das lassen Sie nicht gelten?

WESTERWELLE: Das habe ich auch bei einigen Kommentatoren und Journalisten lesen müssen, aber ich glaube, dass sich dieser Vorwurf auch aus einer mangelnden Kenntnis der Vorgänge erklärt, denn Tatsache ist ja: Als diese Debatte im Frühjahr bereits das erste Mal stattgefunden hat, hat ja der Bundesvorstand auf meinen Antrag hin unverzüglich diese ganze Debatte missbilligt. Sie hat, was ein einmaliger Vorgang in der bisherigen Parteiengeschichte war, ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl den damaligen stellvertretenden Bundesvorsitzenden für dieses Verhalten gerügt, und umso schockierender war ja auch, dass nochmals eine Woche vor der Wahl, obwohl der Bundesvorstand, obwohl die Landesvorstände sich dieses verbeten hatten, dieses Flugblatt noch einmal diese Debatte aufheizen sollte, und das ist ein Vorgang, den keiner akzeptieren kann. Das hat übrigens weniger etwas mit Politik und nur mit Parteien zu tun. Das kennt jeder aus dem Privaten auch. Wenn jemand mal im Frühjahr etwas macht, und man sagt, das geht so nicht, dann mag das noch einmal auch nachgesehen werden, aber wenn dann quasi wenige Monate später trotz der Abmahnung das Ganze noch einmal stattfindet, dann muss das zu Konsequenzen führen. Aber das sind die politischen Konsequenzen, und das wollen wir alle bitte fein säuberlich trennen von einem Vorgang um ein Sonderkonto, das unzulässigerweise mit Barspenden anonymisiert aufgefüllt wurde.

Frage: Ich werde dennoch den Eindruck nicht los, als machten Sie allein die Antisemitismus-Debatte für die Wahlniederlage der FDP verantwortlich. War es nicht auch ein Fehler, zum Beispiel keine Koalitionsaussage gemacht zu haben?

WESTERWELLE: Das haben wir auf den Bundesparteitagen auch und deshalb beschlossen, weil wir der Meinung sind, dass die FDP eine Alternative zu allen anderen Parteien ist.

Frage: Es kann ja trotzdem falsch gewesen sein.

WESTERWELLE: Ja, ich will es trotzdem nochmals wiedergeben, und ich halte das auch für unverändert richtig. Sehen Sie, wir haben ja feststellen können, dass die FDP bei den bis 30jährigen fast 4 Prozent hinzugewonnen hat, bei den bis 45jährigen fast 3 Prozent hinzugewinnen konnte. Wir haben feststellen können, dass wir über 300.000 Stimmen früherer SPD-Wähler für die FDP interessieren konnten, und ich bin ziemlich sicher, wenn wir nicht diesen eigenständigen Kurs gegangen wären, wenn wir uns nicht als Alternative zu allen anderen Parteien empfohlen hätten, wie wir es auf unserem Bundesparteitag nun auch beschlossen hatten, dann wären viele dieser neugewonnenen Wähler weggeblieben. Wir wollen auch bei allem Ärger über ein Wahlergebnis, das unter unseren Möglichkeiten geblieben ist, nicht vergessen: Ein Zuwachs von 1,2 Prozent, 7,4 Prozent, das ist ein besseres Ergebnis als bei den beiden letzten Bundestagswahlen. Wenn wir also bei den beiden letzten Bundestagswahlen 1994, 1998, ein schlechteres Ergebnis mit Koalitionsaussage hatten und jetzt 7,4 Prozent ohne Koalitionsaussage, aus eigener Kraft einen solchen Substanzgewinn erarbeiten konnten, dann ist das zumindest eine gute Ausgangslage für die Arbeit in der nächsten Legislaturperiode. Und die Grünen liegen bei den Erststimmen hinter uns, bei den Zweitstimmen liegen sie vor uns, weil sie eine große Zahl von Stützstimmen und Leihstimmen der SPD bekommen haben, und das wird sicherlich sich auch im Laufe der nächsten Jahre bei den Landtagswahlen zeigen, dass die Substanz der FDP bei den Wählern sehr viel besser ist als das, was bei den Grünen jetzt scheinbar das Ergebnis der Bundestagswahl ist, denn da haben sehr viele Sozialdemokraten die Grünen gestützt.

Frage: Was sagen Sie denjenigen, die nun behaupten, Sie wollen ablenken von eigenen Fehlern, indem Sie sich voll und ganz auf die Parteispendenaffäre fokussieren?

WESTERWELLE: Dass ich mich frage, wie diese Journalisten schreiben würden, täten wir es nicht. Sehen Sie, das ist der Unterschied zu allen anderen bisherigen bekannt gewordenen Skandalen und Affären, die man bisher erlebt hat. Hier hat nicht ein Staatsanwalt etwas herausgefunden. Hier hat nicht ein Journalist etwas herausgefunden, sondern die FDP hat festgestellt: Da gibt es ein Sonderkonto. Das ist nicht ordentlich finanziert worden. Wir haben Anhaltspunkte gehabt, sind sofort in die Aufklärung gegangen, haben von uns aus den Bundestagspräsidenten informiert, sind von uns aus an die Öffentlichkeit gegangen, und ich vermute, dass die Wählerinnen und Wähler es sehr honorieren werden, dass nicht bei uns etwas aufgedeckt wurde, sondern dass wir etwas aufgedeckt haben, und dass wir die Konsequenzen aus den Affären bei Union, SPD und Grünen in den letzten Jahren gezogen haben, nicht getrieben werden, sondern von uns aus auf Aufklärung und auf Transparenz setzen.

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