10.02.2003FDP

WESTERWELLE an SOMMER: FDP bleibt bei Gewerkschaftskritik

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE hat dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, MICHAEL SOMMER, den folgenden Brief gesandt:

Sehr geehrter Herr Sommer,

Ihren offenen Brief an mich habe ich heute nach telefonischer Anforderung bei der Pressestelle des DGB erhalten.

Sie zitieren mich richtig: Ich habe die derzeitige Gewerkschaftspolitik als Plage für Deutschland bezeichnet. Ich sehe keine Veranlassung, meine Einschätzung zurückzunehmen. Es handelt sich dabei keineswegs um eine Wortwahl aus dem "Wörterbuch des Unmenschen", wie Sie schreiben, sondern um eine Begrifflichkeit aus der Bibel.

In einer Zeit, in der mehr als 4,6 Millionen Menschen einen Arbeitsplatz suchen, ist es die ehrenvolle Pflicht der Tarifparteien, alles zu tun, um diesen Menschen zu neuen Beschäftigungsverhältnissen zu verhelfen. Dabei muss jeder Vorschlag diskutiert werden können. Der Vorschlag von Herrn BDA-Präsident Hundt, allen Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen, eine Ausbildungsplatzgarantie zu geben, wenn im Gegenzug die Gewerkschaften zu Flexibilisierungen an anderer Stelle bereit sind, hat es verdient, konstruktiv verhandelt zu werden. Die Tatsache, dass nur 74 Minuten nach der ersten Meldung über das Angebot von Herrn Hundt die kategorische Absage der Gewerkschaften zu den Vorschlägen erfolgt ist, macht Ihre mangelnde Verhandlungsbereitschaft deutlich.

Fortgesetzt stecken die Gewerkschaften Tabuzonen ab, innerhalb derer Sprechverbote gelten sollen, statt sich den Veränderungsnotwendigkeiten im Interesse der Arbeitsuchenden offen zu stellen. Ihr Hinweis auf das "Wörterbuch des Unmenschen", mit dem Sie mich auf eine Stufe mit den Verbrechern des Nazi-Regimes stellen, zeigt die Starrheit dieser Abwehrhaltung und den gewerkschaftlichen Realitätsverlust nur zu deutlich.

Die Politik in Deutschland wird entscheidend beeinflusst von Funktionären und Besitzstandswahrern. Dieses Kartell verhindert die notwendigen strukturellen Reformen für mehr wirtschaftliche Dynamik und damit für mehr neue Arbeitsplätze. Dieses sieht die Mehrheit unserer Bevölkerung und eine wachsende Zahl von Gewerkschaftsmitgliedern längst genauso. Lohnforderungen an ein Unternehmen von fast 10 Prozent bei einem Wirtschaftswachstum von 0,2 Prozent gefährden bestehende Arbeitsplätze und verhindern das Entstehen neuer Arbeitsplätze. Wenn 75 Prozent der Abgeordneten der SPD-Bundestagsfraktion selbst Mitglieder der Gewerkschaften sind, ist der im Grundgesetz angelegte Interessenausgleich starker Tarifparteien, die wir auch meiner Meinung nach brauchen, faktisch aufgehoben.

Die FDP wird ihre Politik für ein nachhaltiges Wachstum fortsetzen. Dazu gehören Steuerentlastungen und -vereinfachungen. Dazu gehört aber auch eine Reform des sozialen Sicherungssystems und ein umfassender Abbau der Bürokratielast in Deutschland, zum Beispiel durch Verfallsdaten für Gesetze. Die FDP wird zudem ihren Kurs einer grundlegenden Flexibilisierung des Tarifvertragswesens fortsetzen. Das Tarifkartell muss aufgebrochen werden. Wenn 75 % der Belegschaft in freier und geheimer Abstimmung sich zur Abweichung vom Tarifvertrag entscheiden, muss diese Abweichung zulässig sein. Wir brauchen weniger Fremdbestimmung durch Funktionäre und mehr Selbstbestimmung durch Mitarbeiter und Unternehmer vor Ort.

Die FDP setzt auch ihren Kurs für eine Senkung der Lohnzusatzkosten fort. Gerade im lohn- und beschäftigungsintensiven Mittelstand können so wieder nachhaltig Arbeitsplätze entstehen. Die Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme muss sich an dem Grundsatz orientieren: Versicherungspflicht statt Pflichtversicherung. Die Zwangsbeiträge müssen auf Kernleistungen beschränkt und Wahlmöglichkeiten und Gestaltungsspielräume für individuelles Handeln eröffnet werden.

Selbstverständlich tritt die FDP auch für eine Reform des Kündigungsschutzes ein. Die bestehenden Regelungen stellen nach Auffassung sämtlicher unabhängiger Experten ein Einstellungshemmnis dar. Sie verfehlen ihre soziale Schutzfunktion, da sie nur zu einer Vielzahl an Arbeitsgerichtsprozessen führen, die in der Regel nicht den Arbeitsplatz erhalten, sondern ohnehin in Abfindungsregeln münden. Vor allem kleine Unternehmen aber scheuen vor Neueinstellungen zurück, da sie aus nachvollziehbaren Gründen das komplizierte Kündungsschutzrecht umgehen wollen.

Die FDP bleibt auch bei ihrer Zielvorstellung, dass Arbeit sich wieder lohnen muss. Deshalb muss dem Lohnabstandsgebot wieder Geltung verschafft werden. Das Einkommen, das sich mit Sozialleistungen erzielen lässt, darf nicht höher liegen als das, was man durch die Aufnahme von Arbeit verdient. Dazu gehört auch, dass wir den 630-Euro-Job, der pauschal besteuert und sozialversicherungsfrei ist, endlich einführen. Deutschland braucht zudem eine Stärkung der Selbstständigkeit. Jeder Selbstständige schafft drei bis vier neue Arbeitsplätze. Die Stärkung der Selbstständigkeit wird ein zentraler Erfolgsfaktor für mehr Arbeitsplätze in Deutschland. Deshalb müssen auch die Regelungen gegen die sogenannte Scheinselbstständigkeit endgültig abgeschafft werden.

Die beste Sozialpolitik ist die Schaffung von Arbeitsplätzen. Für die FDP ist die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze vorrangige Aufgabe. Deshalb verstehen wir uns auch als Vertreter der Arbeitslosen in der Politik. Wir verschaffen ihren Anliegen in der Politik Gehör. Wenn es dafür erforderlich ist, sich mit den deutschen Gewerkschaften in eine Auseinandersetzung zu begeben, werden wir diese Auseinandersetzung nicht scheuen.

Zu einem Gespräch stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Guido Westerwelle

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