20.08.2021FDPEuropa

WISSING-Gastbeitrag: Ein hohes Gut

Der FDP-Generalsekretär Dr. Volker Wissing schrieb für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Freitag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

"Die Unabhängigkeit von Zentralbanken ist ein hohes Gut. Das Ziel der Preisstabilität lässt sich nicht dauerhaft erreichen, wenn die Geldpolitik in den Dienst der Finanzpolitik gestellt wird. Diese wichtige Einsicht hat dazu geführt, dass die Europäische Zentralbank (EZB) unabhängig ist und die Währungshüter um EZB-Präsidentin Christine Lagarde den Kurs der Geldpolitik frei von politischer Einflussnahme bestimmen sollen. Die direkte Finanzierung der Euro-Mitgliedsstaaten ist der EZB vertraglich sogar ganz ausdrücklich verboten.

Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Beginn der Währungsunion ist diese Unabhängigkeit und damit letztlich auch die dauerhafte Stabilität des Euro in Gefahr. Die EZB selbst ist an dieser Entwicklung nicht unschuldig: Die milliardenschweren Käufe von Staatsanleihen haben die EZB und die nationalen Notenbanken wie die Deutsche Bundesbank längst zum größten Gläubiger der Mitgliedsländer gemacht. Damit droht ein Zustand der fiskalischen Dominanz: Dass der Kurs der EZB von möglichen negativen Folgen einer strafferen Geldpolitik für die nationalen Haushalte bestimmt wird und nicht vom Inflationsausblick. Erste Anzeichen dafür zeigen sich bereits heute. Die EZB sollte sich davor hüten, höhere Inflationsraten als die angestrebten 2 Prozent auch nur vorübergehend in Kauf zu nehmen, und erst Recht nicht aus Rücksicht auf die Beibehaltung günstiger Refinanzierungskonditionen der Staaten.

Doch der Stabilität des Euro droht noch eine weitere Gefahr: Die EZB liebäugelt offenkundig mit einer eigenständigen, aktiven Rolle im Kampf gegen den Klimawandel. Nun ist es zwar notwendig und richtig, dass auch die Notenbanken einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Hier gibt es zweifellos Nachholbedarf. Risiken, die sich aus dem Klimawandel ergeben, müssen von den Währungshütern stärker berücksichtigt werden als bisher, beispielsweise im Portfoliomanagement oder in den Euro-Eigenanlagen. Auch in ihrer Funktion als Bankenaufseherin kommt der EZB und auch der Bundesbank eine wichtige Aufgabe zu. Sie müssen die Geschäftsbanken für die Risiken sensibilisieren, die sich aus dem Wandel hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft ergeben. Hier hat die Notenbank zweifellos eine Wächterfunktion, um Risiken im Finanzsystem so gering wie möglich zu halten. Wenn aber auch die Geldpolitik in den Dienst des Klimaschutzes gestellt würde, indem beispielsweise nur noch „grüne“ Anleihen im Rahmen der Kaufprogramme erworben werden, wäre hier eine „rote Linie“ überschritten. Denn hier drohte unweigerlich ein Zielkonflikt zwischen der Preisstabilität und dem Klimaschutz. Es erfordert nur wenig Phantasie, um sich eine Situation vorzustellen, in der die Preisstabilität durch eine Straffung der Geldpolitik gesichert werden müsste, der damit einhergehende Verkauf der „grünen“ Anleihen der EZB aber unweigerlich den Vorwurf eintrüge, den Klimaschutz zu untergraben. Dem dürfen sich die Währungshüter nicht aussetzen.

Eine Institution, die aus guten Gründen ein hohes Maß an Unabhängigkeit genießt, darf nur auf ein Ziel verpflichtet werden. Die Abwägung zwischen verschiedenen Zielen, die mitunter im Widerspruch zueinander stehen, ist die Sache von gewählten Regierungen und Parlamenten. Sie müssen sich für ihre Entscheidungen regelmäßig vor den Wählerinnen und Wählern verantworten. Die EZB aber unterstützt die allgemeine Wirtschaftspolitik der Europäischen Union am besten, indem sie die Inflation im Zaum hält. Damit hat sie angesichts der aktuellen Teuerungsraten von mehr als 2 Prozent genug zu tun. Einer darüber hinaus gehenden „Politisierung“ der EZB, und sei es auch für den Klimaschutz, gilt es dagegen ein klare Absage zu erteilen."

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