FDPDigitalisierung

Ein Fahrplan für die Zukunft

Nicola BeerFDP-Generalsekretärin Nicola Beer fordert eine moderne, bürgerrechtsorientierte Netzpolitik für Deutschland
08.06.2015

Die Freien Demokraten wollen die Zukunft aktiv gestalten, auch im netzpolitischen Bereich. Im Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" sprach FDP-Generalsekretärin Nicola Beer über Digitalisierung und Datenschutz. Sie prangerte an, dass die Bundesregierung hier Chancen verschlafe und die Privatsphäre der Bürger durch die Vorratsdatenspeicherung aushöhle. Beer forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, sich ein Beispiel an anderen Ländern zu nehmen.

In Estland zum Beispiel sei im Zuge der weit vorangeschrittenen Digitalisierung ein völlig neues Datenschutzrecht geschaffen worden, berichtete Beer. Auch die FDP habe ein Modell entwickelt, "wo die Daten beim jeweiligen Bürger in einem Art Hochsicherheitstrakt bleiben und er nur denen Zugriffe gewährt, die zugreifen sollen", erläuterte sie. "Was geschieht stattdessen in Deutschland? Nun diskutiert man wieder über anlasslose Vorratsdatenspeicherung, bei der jeder ausspioniert wird. Das Gesetz wird meiner Meinung nach vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern."

Außerdem sprach die FDP-Generalsekretärin über die Eigenschaften, die die Seele der Freien Demokraten ausmachen. "Wir sind eine Partei mit Traditionen, wir haben Werte, die uns antreiben. Wir sind in Deutschland die Kraft, die auf der Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft Wachstum in diesem Land erarbeiten will. Und wir sind die einzige Partei, die sagt, dass der Mehrwert, der durch dieses Wachstum erzielt wird, prioritär in die Bildung investiert werden soll: Denn sie macht Menschen stark und gibt ihnen das Handwerkszeug, aus Chancen persönliche Erfolge zu machen."

Interview mit Nicola Beer

Frau Beer, ist die deutsche Sprache eigentlich piefig?

Nein. Die deutsche Sprache ist eine wunderschöne Sprache, mit vielen Abstufungen und Möglichkeiten zu nuancieren.

Für das neue FDP-Motto musste aber eine Kombination mit dem Englischen her. Wieso eigentlich?

Wir wollen damit zeigen, wie wir als Deutsche gesehen werden wollen, aber leider noch nicht werden. "German Angst" ist ein Germanismus, ein Begriff, der sich international durchgesetzt hat für zaudernde deutsche Befindlichkeit. Dem wollen wir etwas entgegensetzen, "German Mut": Aufbruch, Gründergeist, Innovationen.

Gucken Sie die "heute show"? Wenn man dort einen Zusammenschnitt von Auftritten auf dem jüngsten FDP-Parteitag gesehen hat, lauter Leute, die laut "German Mut" sagen, dann war das ziemlich witzig.

Ich habe das Gefühl, dass wir insgesamt nicht mehr, wie noch vor einem Jahr, Häme und Spott ernten, sondern dass das langsam Kultstatus bekommt. Und das kann ja Brücken bauen dahin, dass wir mit unseren Inhalten wieder ernst genommen werden.

Also ganz ernsthaft: Sie sind seit anderthalb Jahren Generalsekretärin der FDP. Wohin hat sich die Partei seitdem entwickelt?

Wir haben uns ein Jahr Zeit genommen, um sehr intensiv mit den Mitgliedern zu diskutieren, was die Seele der Freien Demokraten ausmacht.

Und welche Antwort haben Sie gefunden?

Wir sind eine Partei mit Traditionen, wir haben Werte, die uns antreiben. Wir sind in Deutschland die Kraft, die auf der Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft Wachstum in diesem Land erarbeiten will. Und wir sind die einzige Partei, die sagt, dass der Mehrwert, der durch dieses Wachstum erzielt wird, prioritär in die Bildung investiert werden soll: Denn sie macht Menschen stark und gibt ihnen das Handwerkszeug, aus Chancen persönliche Erfolge zu machen.

Beschreiben Sie doch mal Ihren Job.

Ich habe zum einen die Aufgabe, hinter einer gemeinsamen Programmatik den Zusammenhalt in der Partei zu organisieren und diese Programmatik auch fortzuentwickeln. Auf der anderen Seite ist es mein Job, neben dem Parteivorsitzenden Christian Lindner und den anderen Präsidiumsmitgliedern die Bundespartei zu repräsentieren, die Themen zu präsentieren, auf die wir uns geeinigt haben.

Wie nahe sind Sie dem Parteivorsitzenden?

Wir haben einen regelmäßigen Austausch. Es gibt ein Grundvertrauen, auf dem das aufbaut, was wir tun. Wir sind beide wahnsinnig viel unterwegs und können es uns zeitlich kaum leisten, mal am selben Ort gemeinsam Organisatorisches zu besprechen; das machen wir täglich - dann meist über Telefon, Mails und so weiter.

Immer, wenn es öffentlich um die FDP geht, in einer Talkshow zum Beispiel, sieht man den Vorsitzenden. Müssten nicht auch Sie als Generalsekretärin mal auftreten?

Nach meiner Wahl zur Generalsekretärin war es mir vor allem wichtig, die Parteibasis zu stärken und damit die Grundlagen für den Neuaufbau zu legen. Dann ist das auch eine Frage dessen, was an uns herangetragen wird. Zunächst ist das Interesse der Medien am Parteivorsitzenden größer als an anderen Personen. Wir haben aber durch unsere Aufbauarbeit, insbesondere durch das Dreikönigstreffen mit der programmatischen Neuorientierung, und auch durch die Erfolge bei den Landtagswahlen in Hamburg und Bremen erreicht, dass das Interesse an den Freien Demokraten wieder wächst. Und wir verteilen die damit entstehenden neuen Aufgaben sukzessive auf verschiedene Schultern.

Wie erklären Sie sich eigentlich die Erfolge im Norden? Halten Sie das für einen nachhaltigen Neuanfang, glauben Sie, mit der FDP schon über den Berg zu sein?

Das sind für uns zwei wichtige Erfolge gewesen, vor allem in Bremen, denn es ist immer schwieriger, von draußen reinzukommen, als von drinnen seine Position zu verteidigen. Doch es ist der Anfang eines noch weiterhin langen Weges; wir wissen, dass noch viel Arbeit vor uns liegt.

Sie müssen sich doch selbst darüber wundern: 2014 null Interesse an der FDP, und dann 2015 zwei Wahlen, in denen die Partei die Fünf-Prozent-Hürde überwindet.

Ich denke, man darf nicht unterschätzen, was wir im vergangenen Jahr geleistet haben: Wir haben uns in einer intensiven Diskussion mit den Mitgliedern wieder auf unsere Wurzeln besonnen, unsere prioritären Themen festgelegt, dadurch wieder mobilisiert. Wir hatten in diesem Leitbildprozess mehr als 300 Veranstaltungen, mehr als 15.000 Freie Demokraten, die mitgemacht haben. Das alles hat den Boden bereitet - für das Dreikönigstreffen, für einen Aufbruch, für die Wahlen.

In den Becken welcher anderen Parteien will die FDP zukünftig fischen? Wem wollen Sie Stimmen wegnehmen?

Darüber machen wir uns keine Gedanken. Wir denken stattdessen darüber nach, wie wir dieses Land wieder in eine Aufbruchsstimmung versetzen und wen wir dabei mitnehmen können.

Aber Sie können nicht behaupten, dass Sie dabei nicht mit Wählerbewegungen kalkulierten.

In den Umfragen sehen wir derzeit, dass viele Wähler der Union sagen, dass sie wieder für die FDP stimmen würden. Aber wir haben auch die Nichtwähler im Auge. Wir wollen uns nicht damit abfinden, dass sich so viele in Deutschland von der Politik abwenden.

Hessen ist Ihre Heimatbasis. Wie schätzen Sie hier die Chancen der FDP ein? In der letzten veröffentlichten Umfrage Ende 2014 lagen die Liberalen unter drei Prozent.

Auch für Hessen gilt: Die Chancen werden kontinuierlich besser. Wir sind derzeit die agilste Oppositionspartei, wir legen den Finger in die Wunde und zeigen, wo sich das Land in die falsche Richtung bewegt.

Zum Beispiel?

Das fängt damit an, dass in Hessen bei den Grundschulen und den gymnasialen Oberstufen gekürzt wird. Oder wenn die hessischen Hochschulen die Bafög-Mittel eben nicht obendrauf bekommen, sondern das vom Bund zur Verfügung gestellte Geld dafür verwendet wird, Projekte zu finanzieren, die man ohnehin schon geplant hatte. Die CDU bewegt sich stark in Richtung Einheitsschule, wie sie die Grünen wollen und vor allem aber die SPD sie will.

Ist das für Sie als ehemalige Kultusministerin in einer schwarz-gelben Koalition nicht ohnehin bitter: zu sehen, dass sich die CDU in der Schulpolitik stark den Grünen annähert?

Es war zu erwarten, dass es für den jetzigen Kultusminister Alexander Lorz schwierig wird, alles das, was wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben, davor zu bewahren, von den Grünen verändert und angeknabbert zu werden. Eigentlich sind die bisherigen eineinhalb Jahre der neuen Koalition gerade in der Schulpolitik Stillstand gewesen. Und jetzt beginnen die Grünen, von ihrem Koalitionspartner das eine oder andere Zugeständnis einzufordern.

Welche Errungenschaften sehen Sie gefährdet?

Es war richtig von der CDU/FDP-Koalition, sich stärker um die Grundschulen zu kümmern. Wir haben flächendeckend Sozialarbeit an Schulen und einen Sozialindex eingeführt. An Schulen in sozial schwierigem Umfeld soll mehr gefördert werden, um den Kindern dort die gleichen Chancen zu bieten. Wir werden darauf achten, dass diese Erfolge nicht darunter leiden, dass grüne Projekte neu finanziert werden sollen.

Dem von der FDP durchgesetzten und nun wieder abgeschafften Landesschulamt weinen Sie aber nicht nach?

Doch. Ich halte die Abschaffung nach wie vor für einen immensen Fehler. Das Amt hätte über die Legislaturperiode einen zweistelligen Millionenbetrag eingespart. Den hätten wir in Lehrerstellen, in die Verbesserung der Qualität des Unterrichts investieren können. Nun finanziert man Bürokratie damit, statt die Zukunft unserer Kinder.

In Hessen besetzen CDU und Grüne inzwischen über die Bildung hinaus sehr ähnliche Positionen. Die SPD findet kein Thema, mit dem sie sich zwischen die beiden Partner drängen kann. Stimmt diese Einschätzung?

Na ja. Ich nehme eher wahr, dass es zunehmend zwischen Schwarz und Grün knirscht. Und leider hat der Versuch, eine gemeinsame Basis zu finden, dazu geführt, dass es keine klare Ordnungspolitik mehr gibt.

Ordnungspolitik lässt sich auf Landesebene nur sehr beschränkt betreiben.

Das würde ich nicht so sehen. Das Hineinregieren der Landesregierung am Flughafen ist ein Beispiel für schlechte Ordnungspolitik, überhaupt, dass man abrückt von neuer Infrastruktur, etwa dem Bau der A49. Dafür werden die Pläne zum Ausbau der Windkraft weiterverfolgt, obwohl sie angesichts der Entwicklungen auf dem deutschen Energiemarkt nicht zu rechtfertigen sind. Das Energieeinspeisungsgesetz EEG hat Strom in Deutschland im internationalen Vergleich überteuert und setzt noch heute falsche Investitionsanreize.

Sie wie Ihr Parteivorsitzender Lindner wollen die FDP als die Partei der Zukunft anpreisen. Digitalisierung taucht dabei oft als Zauberwort auf. Unterschätzen Sie nicht deren Risiken?

Wir sehen beides, zunächst aber einmal die immensen Chancen. Digitalisierung wird in Deutschland insgesamt, aber auch speziell in Hessen verschlafen. Die Bundeskanzlerin macht zwar eine hervorragende Außenpolitik. Ich kann auch verstehen, dass sie dies zurzeit der Innenpolitik vorzieht. Aber wenn sie schon so viel herumkommt, sollte sie sich auch anschauen, wie die Chancen in anderen Ländern genutzt werden.

Oft unter Zurückstellung des Datenschutzes.

Das kann man nicht pauschal behaupten. Schauen Sie sich zum Beispiel Estland an: Dort ist im Zuge der weit vorangetriebenen Digitalisierung ein völlig neues Datenschutzrecht geschaffen worden. Die FDP hat ein Modell entwickelt, wo die Daten beim jeweiligen Bürger in einem Art Hochsicherheitstrakt bleiben und er nur denen Zugriffe gewährt, die zugreifen sollen. Was geschieht stattdessen in Deutschland? Nun diskutiert man wieder über anlasslose Vorratsdatenspeicherung, bei der jeder ausspioniert wird. Das Gesetz wird meiner Meinung nach vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern.

Die politische Landschaft wird bunter, die Parteien müssen sich überlegen, mit wem sie können oder dürfen. Macht sich die FDP schon wieder solche Gedanken, für den Bund, für Hessen?

Ich finde die Frage herrlich. Bis vor wenigen Wochen hat man uns in den Medien noch für tot erklärt. Nun fragt man schon wieder nach Regierungskoalitionen. Logisch können wir Regierung. Für uns ist aber momentan viel wichtiger, Vertrauen und nochmals Vertrauen aufzubauen in der Bevölkerung, um die Menschen von unseren Werten zu überzeugen. Das Schöne in unserer jetzigen Situation ist, dass wir FDP pur anbieten können und keine Schere mehr im Kopf haben müssen, ob etwas bei einem tatsächlichen oder potentiellen Koalitionspartner auf Widerstand stoßen könnte. Das gilt zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik. Wir fordern schon seit längerem ein Einwanderungsgesetz, damit die Menschen, die mit viel Energie und Schwung in unserem Land ihre Zukunft gestalten wollen, dieses Potential auch für das Gemeinwesen entwickeln können. Wenn die Bundesregierung hier nicht vorankommt, könnte die Landesregierung dazu im Bundesrat eine Gesetzesinitiative einbringen.

Sehen Sie Ihre eigene Zukunft in der Bundespolitik?

Bevor das Gipfelkreuz aufgestellt wird, muss man den Gipfel erst mal erklimmen. Unser vordringliches Ziel ist es, 2017 wieder in den Bundestag zu kommen. Das erfordert die volle Konzentration. Wenn wir uns dann zur gegebenen Zeit überlegen, wer die Fraktion bilden soll, werde ich sicher eine Rolle spielen. Das bestimmt aber heute nicht meine Gedanken.

Die FDP hat am Ende ihres jüngsten Bundesparteitags unter Jubel der Delegierten beschlossen, Cannabis freigeben zu wollen. Haben Sie mitgejubelt?

Nein, aber ich habe dafür gestimmt. Freigabe von Cannabis ist eigentlich die falsche Bezeichnung für das, was wir wollen. Es geht darum, den Stoff streng kontrolliert an lizenzierten Stellen, wie in Apotheken, abzugeben. Und das in einer Qualität, die nicht über Beimengungen und Streckungen noch zu ganz anderen Gesundheitsgefährdungen führt. Wichtigster Grund auch für mich war, dass wir bei Cannabis, wie bei Drogen überhaupt, entgegen der Intention des Gesetzes keinen ausreichenden Schutz der Jugend haben, stattdessen einen florierenden Schwarzmarkt, der sich bis auf die Schulhöfe erstreckt. Und wenn ich das wie bei Alkohol über eine kontrollierte Abgabe in den Griff bekomme und mir von Vierzehnjährigen nicht mehr sagen lassen muss, es sei einfacher, an Hasch zu kommen als an eine Flasche Wodka: dann ist das ein Erfolg.

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