FDPDemokratie und Diskurs

Kasperletheater der Großen Koalition verprellt die Bürger

Nicola BeerNicola Beer rügt den Regierungsstil der Großen Koalition
20.06.2016

Im Interview mit "heise.de" hat FDP-Generalsekretärin Nicola Beer die Machtspiele der zerstrittenen Großen Koalition scharf kritisiert. "Es wirkt so, als handele es sich um eine Schicksalsgemeinschaft, die mit aller Macht versucht, Neuwahlen zu vermeiden. Trotz persönlicher Angriffe und immer wiederkehrender Differenzen kleben die Koalitionäre aneinander, statt dem Elend ein Ende zu machen", so Beers Fazit. Mit ihrem Vorgehen untergrabe Schwarz-Rot das Vertrauen der Bürger in Politiker, die schließlich nicht für die Aufführung von Kasperletheater, sondern für das Regieren gewählt worden seien. Die Freidemokratin plädierte deshalb für einen seriösen und konstruktiven Regierungsstil, der wichtige Zukunftsaufgaben wie Digitalisierung und Bildung in den Mittelpunkt stellt.

Die Bundeskanzlerin tue ihrerseits so, als wären die Probleme über Nacht gekommen, und erwecke zugleich den Eindruck, ihre Politik wäre alternativlos, konstatierte die FDP-Generalsekretärin. "Wir Freien Demokraten stellen uns politische Führung anders vor. Auch unangenehme Konzepte müssen erklärt und zur Diskussion gestellt werden", hob Beer hervor. Es muss stets darum gehen, die Bürger zu überzeugen und mitzunehmen, sodass am Ende ein Kurs eingeschlagen werde, der von einer Mehrheit auch getragen werde. "Von dieser Art des Diskurses lebt die Demokratie. Parteipolitische Spielchen dagegen sind genau das, was die Bürger ablehnen", unterstrich sie.

Wir sind das genaue Gegenteil der AfD

Die Freien Demokraten wollten 2017 unbedingt in den Bundestag zurückkehren, hätten aber noch eine Menge Arbeit vor sich, so Beer weiter. "Wir sind intensiv darum bemüht, die Wähler von unseren Zielen zu überzeugen. Mehr Selbstbestimmung, bessere Bildung, wirtschaftliche Vernunft, Rechtsstaatlichkeit – mit diesen Inhalten werden wir in den Wahlkampf ziehen." Auch das Thema Digitalisierung habe Priorität – "bei uns, leider nicht bei der amtierenden Bundesregierung", stellte die Freidemokratin fest. "Hier werden Konzepte verschleppt, es wird zu viel geredet und nichts gestaltet. Wir hinken 25 Jahre hinter Estland her."

Neben ihren programmatischen Zielen sei die FDP auch grundsätzlich eine weltoffene und tolerante Partei, die für eine freiheitliche Bürgergesellschaft stehe. "Wir sind es, die dem Einzelnen Mut machen und den Menschen etwas zutrauen", erklärte Beer. Im Grunde genommen sei die FDP das genaue Gegenteil der AfD, die sich für das politische Geschäftsmodell 'Angst und Ressentiments' entschieden habe.

Lesen Sie hier das gesamte Interview.

Frau Beer, erinnert Sie der Streit in der Regierung an die Zeit der schwarz-gelben Koalition?

Der Streit der Großen Koalition ist geprägt von einer gewissen Furcht vor den Wählern. Es wirkt so, als handele es sich um eine Schicksalsgemeinschaft, die mit aller Macht versucht, Neuwahlen zu vermeiden. Trotz persönlicher Angriffe und immer wiederkehrender Differenzen kleben die Koalitionäre aneinander, statt dem Elend ein Ende zu machen. In der damaligen Koalition ging es - bis auf wenige Ausnahmen - um inhaltliche Fragen, momentan beobachten wir vor allem Machtspiele.

Die Stimmung in der schwarz-gelben Koalition war damals vergiftet; es fielen Worte wie "Wildsau" und "Gurkentruppe".

Wir rangen um die besten Wege, es standen Entscheidungen mit internationalen Auswirkungen an, große Herausforderungen. Und ja, wir, die Freien Demokraten, haben damals nicht immer die besten Antworten gefunden. Das hat sich dann ja auch in den Wahlergebnissen gezeigt.

Halten Sie es für taktisch klug, wenn Ihr Parteichef sagt, der Streit zwischen CDU und CSU schade der Demokratie?

Selbstverständlich. Das ist schließlich ein Fakt. Der aktuelle Wettbewerb konzentriert sich nicht mehr auf unterschiedliche Konzepte, sondern offenbar auf persönliche Animositäten. Das untergräbt das Vertrauen des Bürgers in die Politik, die er schließlich nicht mit der Aufführung von Kasperletheater, sondern für das Regieren gewählt hat.

Es ist noch nicht lange her, genau genommen fünf Jahre, da wurde der gleiche Vorwurf gegen Ihre Partei erhoben.

Ich bin dafür, dass man den derzeitigen Streit als das benennt, was er ist: unwürdig und gefährlich. Da sollte es keine Rolle spielen, was wer vor fünf Jahren gesagt oder getan hat. Und Sie können mir glauben: Wir haben unsere Lektion gelernt. Gründlich. Bei dem Streit heute zwischen den Koalitionären geht es außerdem um etwas Grundsätzliches.

Das heißt?

Der "Basta-Kanzler" Gerhard Schröder und die "Wir-schaffen-das-Kanzlerin" Angela Merkel packen Themen auf eine ähnliche Weise an: Sie tun so, als wären die Probleme über Nacht gekommen, und erwecken zugleich den Eindruck, ihre Politik wäre alternativlos. Wir Freien Demokraten stellen uns politische Führung anders vor. Auch unangenehme Konzepte müssen erklärt und zur Diskussion gestellt werden. Es muss stets darum gehen, die Bürger zu überzeugen, sodass am Ende ein Kurs eingeschlagen wird, der von einer Mehrheit auch getragen wird. Von dieser Art des Diskurses lebt die Demokratie. Parteipolitische Spielchen dagegen sind genau das, was die Bürger ablehnen.

Jeder fünfte FDP-Anhänger ist laut infratest dimap (Stand: Juni) zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung - welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Das heißt vor allem, dass eine große Mehrheit unserer Anhänger unzufrieden ist. Was mich nicht wundert: Selbst die größten Optimisten werden Monat für Monat aufs Neue von der Bundesregierung und deren Tatenlosigkeit enttäuscht.

Ihre Partei steht eineinhalb Jahre vor der Bundestagswahl bei sieben Prozent. Wäre es für die Weiterentwicklung der FDP sinnvoll, sich nach dem Einzug in den Bundestag zunächst als starke Oppositionskraft zu behaupten?

Wir wollen unbedingt in den Bundestag zurückkehren, haben aber noch eine Menge Arbeit vor uns. Wir sind intensiv darum bemüht, die Wähler von unseren Zielen zu überzeugen. Mehr Selbstbestimmung, bessere Bildung, wirtschaftliche Vernunft, Rechtsstaatlichkeit - mit diesen Inhalten werden wir in den Wahlkampf ziehen. Alles andere ist erst mal zweitrangig.

Trotzdem: Was antworten Sie denjenigen Mitgliedern, die sagen, der sofortige Eintritt in die Regierung berge Gefahren und sei gerade jetzt, zu einem Zeitpunkt, in dem die FDP wieder durchstarte, ein Risiko?

Die Antwort kann nur lauten: Inhalte, Inhalte, Inhalte. Wir versprechen unseren Wählern, dass wir unsere Prinzipien nicht zur Disposition stellen. Wer unsere Inhalte ablehnt, kann für uns kein verlässlicher Partner sein. Da wäre eine solide, glaubwürdige und mit Konzepten unterlegte Oppositionspolitik eindeutig die bessere Option. Wir werden uns wegen der Dienstwagen nicht verbiegen.

Gibt es eine Partei, die vor Koalitionsverhandlungen das Gegenteil behaupten würde?

Wenn sich die Möglichkeit ergibt, unsere Inhalte in den Koalitionsvertrag aufzunehmen, ich sage mal in Großbuchstaben, würden wir die Chance selbstverständlich ergreifen. Aber auch nur dann. Aus den Koalitionsverhandlungen 2009 haben wir gründlich gelernt.

Ohne Kompromisse geht es aber nicht.

Das ist richtig, aber bei den prioritären Themen sind wir nicht bereit, Abstriche zu machen. Jeder, der die Freien Demokraten wählt, kann sicher sein, dass wir unsere Prinzipien bewahren werden. Das haben wir im Übrigen zuletzt in Baden-Württemberg bewiesen, wo wir uns aus guten Gründen für die Opposition entschieden haben.

In Rheinland-Pfalz...

...hat Volker Wissing mit seinem Team schnell erkannt, dass die Chancen, die das Bündnis eröffnet, größer sind als die Risiken. All jene, die der FDP vorwerfen, sie rede nur so daher und rufe sofort "Ja", wenn eine Regierungsbeteiligung möglich ist, sollten sich unsere letzten Entscheidungen noch einmal ganz genau anschauen.

Fällt Ihre Forderung nach einem Minister für Digitales in die Kategorie "prioritäre Themen"?

In jedem Fall hat das Thema Digitalisierung Priorität - bei uns, leider nicht bei der amtierenden Bundesregierung. Hier werden Konzepte verschleppt, es wird zu viel geredet und nichts gestaltet. Wir hinken 25 Jahre hinter Estland her. Wenn wir beim Thema Digitalisierung endlich die nötigen PS auf die Straße bringen wollen, dann ist ein Ministerium für Digitales auf jeden Fall eine bedenkenswerte Option.

Welchen Einfluss sollte ein solcher Minister haben?

Digitalisierung ist ein klassisches Schnittstellenthema. Es betrifft die Wirtschaft genauso wie das Gesundheits- und das Sozialsystem, sie wird unsere Arbeit verändern und unsere öffentliche Verwaltung. Bildung und Forschung, Mobilität und Umwelt. Auch Verteidigung und Auswärtiges haben mit Möglichkeiten und Folgen der Digitalisierung zu tun. Bedenken Sie, welche Rolle das Internet bei den Veränderungen im Nahen Osten gespielt hat. Ein solches Ministerium hätte die Aufgabe, die Aktivitäten der einzelnen Ressorts zu unterstützen und zu koordinieren. So wie die Digitalisierung großen Einfluss auf unser Leben hat, so würde auch ein Digitalisierungsminister zwangsläufig großen Einfluss innerhalb der Bundesregierung haben müssen.

Wie wirkt sich die Tatsache, dass eine weitere Partei, die AfD, im kommenden Wahlkampf mitmischen wird, auf den Kurs der FDP aus?

Da sind wir gelassen; für Liberale ist diese Truppe doch nicht wählbar. Wir sind eine weltoffene und tolerante Partei, die für eine freiheitliche Bürgergesellschaft steht. Wir sind es, die dem Einzelnen Mut machen und den Menschen etwas zutrauen. Die AfD hat sich für das politische Geschäftsmodell "Angst und Ressentiments" entschieden. Im Grunde genommen sind wir das genaue Gegenteil der AfD.

Die FDP würde also in den Umfragen genauso dastehen, wenn es die AfD nicht gäbe?

Das halte ich für Kaffeesatzleserei. Man sollte das eher nüchtern betrachten: Wir haben es mit einem weiteren politischen Wettbewerber zu tun, der krampfhaft versucht, unser Land in das 19. Jahrhundert zurück zu versetzen. Angesichts der Tatsache, dass die AfD-Leute beinahe täglich mit abstrusen Vorschlägen für Schlagzeilen sorgen, kann es für uns in der Auseinandersetzung mit denen nur darum gehen, sie inhaltlich zu stellen. Mit Emotionen kommt man da nicht weiter, das spielte den Damen und Herren nur in die Karten.

Frau Beer, wie wichtig ist Christian Lindner für die FDP?

Christian Lindner ist ein charismatischer und hochmotivierter Bundesvorsitzender, der weiß, dass die Mannschaft der Star ist. Er legt großen Wert auf Geschlossenheit. Ob in der Führung oder den Ortsverbänden, die Identifikation mit der Partei ist zurzeit überall spürbar. Und das ist auch ein Verdienst Lindners, der in einer schwierigen Lage Verantwortung übernommen und die Partei wieder auf Kurs gebracht hat. Nicht zuletzt dadurch, dass er die Beteiligung der Mitglieder beim Neuaufstellungsprozess, die es so bei keiner anderen Partei je gegeben hat, unterstützt und vorangetrieben hat.

Anders gefragt: Ist die FDP abhängig von Christian Lindner?

Christian Lindner ist Primus inter Pares.

Mit Verlaub, welcher FDP-Politiker außer Herr Lindner und Herr Kubicki hat bisher überregionale Bekanntheit erlangt?

Dass in der Öffentlichkeit nicht jeder aus der Parteispitze gleichermaßen in Erscheinung tritt, liegt auch an der Tatsache, dass uns die Berliner Bühne fehlt. Je näher die Bundestagswahl rückt, desto deutlicher werden die Bürger unser gesamtes Team wahrnehmen. Wir sind breit aufgestellt. Ein Beispiel: Zwischen Lencke Steiner (30, Vorsitzende der FDP-Bürgerschaftsfraktion in Bremen, d. Red.) und Hermann Otto Solms (75, FDP-Schatzmeister) liegen Jahrzehnte. Unsere Stärke: verschiedene Charaktere, unterschiedliche Politikstile, aber stets ein und dasselbe Ziel: Mehr Chancen durch mehr Freiheit.

Da drängt sich eine Nachfrage auf: 90 Prozent Ihrer Anhänger sagen, das kürzlich beschlossene Integrationsgesetz gehe in die richtige Richtung. Sie, Frau Beer, betonen, die FDP setzte sich für mehr Chancen durch mehr Freiheit für jeden Einzelnen ein - was halten Sie also von der geplanten Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge?

Die Wohnsitzauflage ist zunächst das richtige Instrument. Andernfalls würden viele Flüchtlinge dorthin ziehen, wo schon viele Migranten leben. Das würde diese Kommunen überfordern. Es wird aber darauf ankommen, ausreichend Bildungsangebote zu machen und zügig eine Arbeitsaufnahme zu ermöglichen, damit jeder Flüchtling möglichst bald auf eigenen Beinen stehen kann. ‎Wer dann dauerhaft selbst für sich und seine Familie sorgen kann, darf nicht mehr in seiner Freizügigkeit beschränkt werden.

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