FDPStreit mit der Türkei

Kein Kuschen mehr vor Erdogan

Die Freien Demokraten fordern ein zeitweiliges Einreiseverbot für türkische RegierungsmitgliederDie Freien Demokraten fordern ein zeitweiliges Einreiseverbot für türkische Regierungsmitglieder
17.03.2017

Wenn der türkische Präsident für eine islamistische Präsidialdiktatur werben will, muss die Bundesregierung mit den Mitteln der wehrhaften Demokratie türkischen Wahlkampf auf deutschem Boden unterbinden. Bei Maischberger erneuerte FDP-Chef Christian Lindner diese Forderung der Freien Demokraten und rügte, die Bundeskanzlerin hätte schon längst klare Kante gegen Erdogan zeigen müssen. Dass europäische Grundwerte "mit Blick auf die Türkei gefährdet sind, daran kann ja kein Zweifel bestehen", stellte er klar. "Da ist ein deutscher Journalist inhaftiert worden, ohne dass wir wissen, was ihm vorgeworfen wird."

Lindner zeigte sich über das zunehmende Kuschen der Bundesregierung vor Ankara entsetzt. "Wir hatten die Böhmermann-Affäre, wir hatten die Armenien-Resolution und das Verbot, deutsche Soldaten in der Türkei zu besuchen. Wir haben uns der Türkei unterworfen", kritisierte er. Deutschland dürfe die Verteidigung seiner Grundwerte jedoch nicht von Überlegungen wie dem Flüchtlingsdeal abhängig machen.

"Wir sind in der Flüchtlingsfrage erpressbar geworden", erläuterte Lindner beim Streitgespräch des Wirtschaftsclubs Düsseldorf mit dem Linken Gregor Gysi. Auch bei der Zusammenarbeit innerhalb der NATO habe Europa ein Interesse an Stabilität an der Südostflanke. "Aber der Westen darf nicht auf Dauer den Fehler machen, dass unsere wesentlichen Werte ausgehöhlt werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich jemand hier bei uns auf die Freiheit beruft, um die Freiheit in seinem eigenen Land abzuschaffen."

Demokratie muss wehrhaft sein

Deshalb müssten Auftritte türkischer Regierungsvertreter sowie deren Einreise bis zum Abschluss des Referendums unterbunden werden, forderte Lindner im WDR2-Gespräch. Dies könne die Bundesregierung auch "ohne Angaben von Gründen" machen, betonte er. Dass sie dies nicht getan hat, ist für den FDP-Chef ein Zeichen von Führungsversagen. Wenn Erdogan mit Nazi-Vergleichen agiere, müsse Deutschland zeigen, "dass wir die historischen Lehren aus dem Nazi-Regime gezogen haben, nämlich, dass die Demokratie wehrhaft sein muss", unterstrich er.

Diese Haltung bekräftigte FDP-Bundesgeschäftsführer Marco Buschmann im Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Es sei grotesk, wenn Erdogan Deutschland 'Nazi-Praktiken' vorwerfe. "Wehrhafte Demokratie ist nicht Verwendung, sondern Verneinung nationalsozialistischen Gedankenguts. Sie ist die Reaktion des Grundgesetzes auf die scheinbar legale Selbstentleibung der Weimarer Republik durch parlamentarischen Mehrheitsentscheid", konstatierte Buschmann mit Blick auf den angestrebten "Umbau der Türkei in eine Autokratie" durch das anstehende Referendum.

"Wer nur seine Meinung kundtut, der genießt dafür Freiheit. Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass sich das Prinzip der wehrhaften Demokratie gegen jeden richtet, der sich etwa durch Propaganda in die Lage versetzt, Demokratie und Menschenwürde real zu gefährden", erläuterte der FDP-Bundesgeschäftsführer. In einer solchen Situation dürfe eine Demokratie diese Propaganda nicht passiv erdulden, sondern müsse aktiv wehrhaft sein.

Unter Erdogan stirbt die Pressefreiheit

Bei stern TV erneuerte EU-Parlamentsvize Alexander Graf Lambsdorff die Forderung der Freien Demokraten nach einem gemeinsamen Durchgreifen der EU. "Wir dürfen die kleineren Länder da nicht alleine stehen lassen", verdeutlichte er. Vielmehr gelte es, mit einer Stimme Ankara klar zu sagen: "Ihr seid hier als Gäste herzlich willkommen, aber nicht als Wahlkämpfer." Seine Ablehnung der Auftritte türkischer Minister begründete Lambsdorff auch damit, dass es in der Türkei keine pluralistische Medienlandschaft mehr gebe. "Meinungsfreiheit lebt vom Wettbewerb der Meinungen", betonte er. Dieser sei unter Erdogan nicht vorhanden.

Auch die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nahm im Deutschlandfunk die Säuberungsaktionen ins Visier, die nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei stattfanden. Sie verwies auf über 100.000 Entlassungen und mehr als 150 bekannte Fälle von inhaftierten Journalisten wie Welt-Reporter Deniz Yücel, die unliebsame Berichterstattung produziert hätten. "Viele sind auch ihrer Existenz beraubt, weil in diesem Ausnahmezustand Eigentum beschlagnahmt wird, nicht der Zugang zu Konten besteht, wenn man seinen Job verloren hat, der Pass eingezogen ist, sie also keine Perspektive haben, fast rechtlos gestellt werden", führte sie aus.

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