13.05.2016In der Flüchtlingskrise hat die Bundesregierung ihre Hoffnung auf den Deal mit der Türkei gesetzt. Ein Fehler, konstatieren die Freien Demokraten – denn das Abkommen bröckelt bereits. So wurde die umstrittene Einführung der Visafreiheit für türkische Bürger an Voraussetzungen geknüpft, die Ankara nicht zu erfüllen bereit scheint – wie eine Änderung der Anti-Terror-Gesetze, die gezielt gegen Minderheiten und Journalisten angewandt werden. Die unterschwelligen Drohungen türkischer Regierungsvertreter, bei Beharren auf diese Kriterien die Flüchtlingshilfe zu streichen, beeindruckten Alexander Graf Lambsdorff nicht. Der Vizepräsident des EU-Parlaments unterstrich, dass es keinerlei politischen Rabatte geben dürfe. Auch der EU-Abgeordnete Michael Theurer kritisierte, dass sich die EU überhaupt in diese Lage potentieller Abhängigkeit begeben hat.
"Wir dürfen die Bürger, die mehrheitlich skeptisch sind, nicht mit einer vorschnellen Visa-Liberalisierung vor den Kopf stoßen", verdeutlichte Lambsdorff im Gespräch mit dem "Handelsblatt". Der Freidemokrat gab jedoch zu bedenken, dass das eigentliche Vorhaben des türkischen Präsidenten weniger mit den Kriterien der Visafreiheit und mehr mit der internen Machtstellung zu tun haben dürfte. "Erdogans Ziel ist es nicht, es sich mit der EU zu verderben, sondern sich als zweiter Staatsgründer neben Atatürk zu verewigen, der der Religion wieder zu mehr staatlicher Geltung verhilft", schätzte Lambsdorff ein.
FDP-Präsidiumsmitglied Theurer übte scharfe Kritik an der EU-Führungsriege. "Dass der EU-Gipfel sich überhaupt abhängig gemacht hat von der Türkei, liegt daran, dass die Staats- und Regierungschefs sich immer noch nicht durchringen können, den Aufbau einer gemeinsamer Grenzschutzpolizei, einer gemeinsamen Armee und einer gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik auf den Weg zu bringen", erklärte Theurer im "Handelsblatt"-Gespräch. Hier zeige sich wieder einmal: Die Krise Europas sei das Versagen der Nationalstaaten.
Ein Einknicken gegenüber der Türkei wäre aus Sicht des Freidemokraten ein gravierender Fehler: "Die Erpressungsversuche Erdogans werfen ein Schlaglicht auf seine Geringschätzung der parlamentarischen Demokratie", stellte Theurer klar. Das EU-Parlament müsse von seiner rechtsstaatlichen Wächterfunktion vollen Gebrauch machen und dabei europäische Standards aufrechterhalten. "Die Zusammenarbeit mit der Türkei ist nötig, darf aber nicht zur Selbstaufgabe führen. Selbstbewusstes Vorgehen der Europäer ist sinnvoll und notwendig", führte er aus.
Von den 72 Bedingungen für die Visafreiheit bleiben mindestens fünf wesentliche Kernpunkte unerfüllt. Insbesondere die Anpassung des türkischen Anti-Terror-Pakets sorgt für Verstimmungen. Der türkische Europaminister Volkan Bozkir lehnte dies bei einem Besuch in Brüssel entschieden ab und drohte indirekt mit Folgen für das Flüchtlingsabkommen. Der Erdogan-Berater Burhan Kuzu wurde noch deutlicher und schrieb über den Kurznachrichtendienst Twitter, die Türkei werde Flüchtlinge losschicken, wenn das EU-Parlament in der Visa-Frage eine falsche Entscheidung treffe.
Keine vorschnelle Visa-Lockerung
Alexander Graf Lambsdorff und Michael Theurer in BrüsselIn der Flüchtlingskrise hat die Bundesregierung ihre Hoffnung auf den Deal mit der Türkei gesetzt. Ein Fehler, konstatieren die Freien Demokraten – denn das Abkommen bröckelt bereits. So wurde die umstrittene Einführung der Visafreiheit für türkische Bürger an Voraussetzungen geknüpft, die Ankara nicht zu erfüllen bereit scheint – wie eine Änderung der Anti-Terror-Gesetze, die gezielt gegen Minderheiten und Journalisten angewandt werden. Die unterschwelligen Drohungen türkischer Regierungsvertreter, bei Beharren auf diese Kriterien die Flüchtlingshilfe zu streichen, beeindruckten Alexander Graf Lambsdorff nicht. Der Vizepräsident des EU-Parlaments unterstrich, dass es keinerlei politischen Rabatte geben dürfe. Auch der EU-Abgeordnete Michael Theurer kritisierte, dass sich die EU überhaupt in diese Lage potentieller Abhängigkeit begeben hat.
"Wir dürfen die Bürger, die mehrheitlich skeptisch sind, nicht mit einer vorschnellen Visa-Liberalisierung vor den Kopf stoßen", verdeutlichte Lambsdorff im Gespräch mit dem "Handelsblatt". Der Freidemokrat gab jedoch zu bedenken, dass das eigentliche Vorhaben des türkischen Präsidenten weniger mit den Kriterien der Visafreiheit und mehr mit der internen Machtstellung zu tun haben dürfte. "Erdogans Ziel ist es nicht, es sich mit der EU zu verderben, sondern sich als zweiter Staatsgründer neben Atatürk zu verewigen, der der Religion wieder zu mehr staatlicher Geltung verhilft", schätzte Lambsdorff ein.
EU-Regierungschefs haben sich abhängig gemacht
FDP-Präsidiumsmitglied Theurer übte scharfe Kritik an der EU-Führungsriege. "Dass der EU-Gipfel sich überhaupt abhängig gemacht hat von der Türkei, liegt daran, dass die Staats- und Regierungschefs sich immer noch nicht durchringen können, den Aufbau einer gemeinsamer Grenzschutzpolizei, einer gemeinsamen Armee und einer gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik auf den Weg zu bringen", erklärte Theurer im "Handelsblatt"-Gespräch. Hier zeige sich wieder einmal: Die Krise Europas sei das Versagen der Nationalstaaten.
Ein Einknicken gegenüber der Türkei wäre aus Sicht des Freidemokraten ein gravierender Fehler: "Die Erpressungsversuche Erdogans werfen ein Schlaglicht auf seine Geringschätzung der parlamentarischen Demokratie", stellte Theurer klar. Das EU-Parlament müsse von seiner rechtsstaatlichen Wächterfunktion vollen Gebrauch machen und dabei europäische Standards aufrechterhalten. "Die Zusammenarbeit mit der Türkei ist nötig, darf aber nicht zur Selbstaufgabe führen. Selbstbewusstes Vorgehen der Europäer ist sinnvoll und notwendig", führte er aus.
Hintergrund
Von den 72 Bedingungen für die Visafreiheit bleiben mindestens fünf wesentliche Kernpunkte unerfüllt. Insbesondere die Anpassung des türkischen Anti-Terror-Pakets sorgt für Verstimmungen. Der türkische Europaminister Volkan Bozkir lehnte dies bei einem Besuch in Brüssel entschieden ab und drohte indirekt mit Folgen für das Flüchtlingsabkommen. Der Erdogan-Berater Burhan Kuzu wurde noch deutlicher und schrieb über den Kurznachrichtendienst Twitter, die Türkei werde Flüchtlinge losschicken, wenn das EU-Parlament in der Visa-Frage eine falsche Entscheidung treffe.