FDPGastbeitrag

Politik lebt von Vielfalt

Konstantin Kuhle. Bild: Philipp Wehrend FotografieKonstantin Kuhle. Bild: Philipp Wehrend Fotografie
03.08.2015

Im Gastbeitrag für "Zeit Online" befasst sich JuLi-Bundesvorsitzender Konstantin Kuhle mit dem rituellen Ruf nach mehr kantigen "Typen" in der Politik und fordert stattdessen mehr Respekt für politisches Engagement aller Arten. Die Sehnsucht nach "den Bosbachs und Gysis dieser Welt" und ihresgleichen lässt in seinen Augen die Stärken junger Politiker und ruhigerer Arbeitsstile außer Acht.

"Wie man es macht, macht man es als junger politischer Mensch verkehrt: Setzt man statt auf Politik zunächst auf vielfältige Praktika, wechselnde berufliche Erfahrungen oder gar internationalen Austausch, gilt man als gewissenloser Streber, der nicht genug von der Härte des Lebens für den politischen Betrieb gestählt wurde", gibt Kuhle zu bedenken. Wolle irgendjemand dagegen früh einsteigen, so werde er oder sie darauf verwiesen, dass bestimmte Dinge nach einem langen Berufsleben wohl besser zu verstehen wären. "Verbindet man seinen jugendlichen Eifer auch noch mit der Mitgliedschaft in einer Partei oder einer Jugendorganisation, handelt man sich zusätzlich den Vorwurf des Karrierismus ein – 'Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal' lautet das beliebte Bonmot."

Ein Blick auf die Lebensläufe der vermeintlich echten Typen verrate aber, dass auch die Alten – beispielsweise Finanzminister Wolfgang Schäuble – ziemlich früh mit Parteipolitik begonnen hätten. Der Zeitpunkt des Einstiegs in die Politik sage allerdings nichts über die Prinzipientreue oder Standfestigkeit eines Politikers aus, konstatiert Kuhle. Es sei jedoch von Vorteil, "dass man früh lernt, die eigenen Vorstellungen in politischen Gremien durchzusetzen und dabei Kompromisse zu schließen".

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Weil Wolfgang Bosbach der Kanzlerin widerspricht, weil er angekündigt hat, er werde im Falle eines erneuten Rettungspakets für Griechenland aus Protest sein Bundestagsmandat aufgeben, wird er nicht nur in Talkshows als einer der vermeintlichen letzten aufrichtigen Politiker verehrt, als echter, kantiger Typ eben. Dass Bosbach nun doch lediglich seinen Innenausschussvorsitz niederlegen und sein Mandat behalten möchte – geschenkt. Bosbach ist nur der jüngste Anlass für die weit verbreitete Sehnsucht nach Typen in der Politik. Davor waren es die angekündigten Rückzüge von Gregor Gysi oder Peter Gauweiler, die die Liebhaber kerniger Politiker aufseufzen ließen: Wären doch die heutigen Politiker ein bisschen mehr wie sie! Prinzipientreu und weniger karrieristisch.

Doch dieser rituelle Ruf nach mehr Typen ist respektlos gegenüber solchen Politikern, die sich im Lebensalter oder im Stil von den Bosbachs und Gysis dieser Welt unterscheiden. Es ist respektlos gegenüber uns Jungen.

Viele Kritiker des Politikbetriebes stören sich daran, dass heutige Politiker nicht über das große Maß an Lebenserfahrung verfügen, mit dem frühere Generationen gesegnet sein sollen. Richtig ist, dass junge Menschen heute im Durchschnitt besser und über längere Zeit ausgebildet werden als in früheren Zeiten. Auch haben sie das Glück, in einer Zeit ohne Hunger und Krieg aufgewachsen zu sein. Beides wunderbare Entwicklungen, für die sich junge Menschen nicht entschuldigen müssen – und die sie schon gar nicht disqualifizieren, in diesem friedlicheren, besser ausgebildeten Land Politik zu machen.

Erfahrung in politischen Jugendorganisationen ist wertvoll

Junge Menschen können es den Kritikern des politischen Systems gar nicht recht machen. Auf der einen Seite die Klagen über die vermeintliche Politik- und Parteienverdrossenheit: Früher sei man für seine Ideale noch auf die Straße gegangen. Heute seien Selbstverwirklichung und Karriere offenbar wichtiger als das Aufbegehren gegen Notstandsgesetze und Vietnamkrieg. Abgesehen davon, dass auch in früheren Zeiten ein großer Teil der Jungen die Zeit lieber anderswo als bei Lichterketten und Mahnwachen verbracht hat, wendet sich das Blatt gegen den jungen Idealisten, sobald er sich konkret für oder gegen eine bestimmte Sache einsetzt. Entwickelt man als junger Mensch ein politisches Anliegen  – man denke an die Demonstrationen gegen staatliche Überwachung oder für ein freies Internet – sieht man sich unweigerlich dem Vorwurf ausgesetzt, man habe die Tragweite jener Themen in seiner jugendlichen Naivität nicht ganz durchdrungen.

Wie man es macht, macht man es als junger politischer Mensch verkehrt: Setzt man statt auf Politik zunächst auf vielfältige Praktika, wechselnde berufliche Erfahrungen oder gar internationalen Austausch, gilt man als gewissenloser Streber, der nicht genug von der Härte des Lebens für den politischen Betrieb gestählt wurde. Will man dagegen früh einsteigen und kandidiert mit Anfang 20 für den Stadtrat oder fordert gar öffentlich eine bessere Unterbringung von Flüchtlingen, so wird man darauf verwiesen, dass man bestimmte Dinge nach einem langen Berufsleben wohl besser beurteilen könne. Verbindet man seinen jugendlichen Eifer auch noch mit der Mitgliedschaft in einer Partei oder einer Jugendorganisation, handelt man sich zusätzlich den Vorwurf des Karrierismus ein – "Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal" lautet das beliebte Bonmot.

Ein Blick auf die Lebensläufe der vermeintlich echten Typen verrät übrigens, dass auch die Alten ziemlich früh mit Parteipolitik begonnen haben. Zum Beispiel Finanzminister Wolfgang Schäuble, dessen harte und konsequente Verhandlungsführung in der Eurokrise von der Bevölkerung laut Umfragen mehrheitlich goutiert wurde: Schäuble wurde im Jahr 1972, genau zwei Jahre nach dem Ende seiner juristischen Ausbildung, in den Deutschen Bundestag gewählt und gehört dem Parlament seither ununterbrochen an. Der Zeitpunkt, zu dem man mit Politik begonnen hat, sagt nichts über die Prinzipientreue oder Standfestigkeit eines Politikers aus. Dass man früh lernt, die eigenen Vorstellungen in politischen Gremien durchzusetzen und dabei Kompromisse zu schließen, zeichnet diejenigen aus, die schon in jungen Jahren den Schritt in die Politik wagen. Und so mancher kernige Quereinsteiger reibt sich ob zermürbender Vorstandssitzungen im Ortsverband die Augen. Wer solche Gremienarbeit schon in politischen Jugendorganisationen gelernt hat, ist hier im Vorteil.

Härte ist nicht alles

Vielleicht hängt der Ruf nach mehr harten Typen in der Politik mit dem Führungsstil Angela Merkels zusammen. Die Kanzlerin wird ja gerade für ihre Sachlichkeit und Ausgeglichenheit geschätzt. Die Sehnsucht nach Politikern, die auch mal aus der Haut fahren, könnte eine Reaktion auf die emotionale Leerstelle sein, die Merkel lässt.

Wer dann allerdings wirklich aus der Haut fährt, hat keine Chance. Als Peer Steinbrück nach einer Reihe missglückter Zitate in der Hochphase des Bundestagswahlkampfes 2013 den Stinkefinger zückte, wirkte sich seine offen zur Schau gestellte Unbeherrschtheit zumeist negativ aus. Der harte Kerl mit Schneid und Lebenserfahrung wird von der ruhigen und fleißigen Frau besiegt.

Es braucht eine gute Mischung aus Fachpolitikern und Rampensäuen ebenso wie die zusammengeführten Erfahrungen mehrerer Generationen. Vor diesem Hintergrund strotzt der einseitige Ruf nach mehr echten Typen vor Verachtung für politisches Engagement. Weil er verkennt, dass Menschen unterschiedlich sind. Je mehr Zerrbilder über Politiker verbreitet werden, umso weniger haben Menschen aus allen Altersklassen Lust auf politisches Engagement. Wer Politik machen will, der sollte kein Misstrauen, sondern Unterstützung ernten. Egal, was für ein Typ er oder sie ist.

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