FDPTürkei nach dem Putsch

EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara sind derzeit sinnlos

Alexander Graf LambsdorffAlexander Graf Lambsdorff erwartet Klartext
02.09.2016

Die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei sind seit dem Putschversuch äußerst angespannt. Und vor diesem Hintergund reiste EU-Parlamentspräsident Martin Schulz als erster Spitzenvertreter der Europäischen Union in die Türkei. Sein Stellvertreter Alexander Graf Lambsdorff fordert klare Worte von ihm: "Schulz muss Erdogan fragen: Was meinte er eigentlich, als er sagte, 'dieser Putsch, das war ein Geschenk Allahs'?", sagte der Vizepräsident des EU-Parlaments am Donnerstag im ZDF-"Morgenmagazin". Am Tag danach hält Lambsdorff fest: "Es war jedenfalls richtig, dass er gefahren ist."

"Es kann nicht nur darum gehen, den Türken zu sagen, wir sind solidarisch", so Lambsdorff. "  Er finde es richtig, dass man miteinander rede, auch in schwierigen Zeiten. "Man darf kein Benzin ins Feuer gießen, aber man darf auch nicht so tun, als ob es kein Feuer gäbe. Das, was da an Säuberungen läuft, an Verhaftungen, an Massenverhaftungen muss man ja sagen, das ist nicht in Ordnung und das muss auch deutlich gesagt werden." Überdies habe das Vorgehen gegen Journalisten, gegen Schriftsteller, schon vor dem Putsch begonnen.

Türkei hat sich von westlichen Werten und von Europa entfernt

Die Türkei habe sich schon seit Jahren von westlichen Werten und von Europa entfernt, sagte Lambsdorff. Mit dem gescheiterten Putsch vom 15. Juli habe sich diese Entwicklung nochmals "dramatisch beschleunigt".

Die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara seien derzeit sinnlos, sagte der Freidemokrat. Er glaube, "es gibt niemanden mehr, der wirklich erwartet, dass es einen Beitritt gibt." Dennoch seien die Europäische Union und die Türkei aufeinander angewiesen. "Wir brauchen einander, wir sind Nachbarn", sagte Lambsdorff.

"Wir wollen enge und gute und auch respektvolle Beziehungen." Die Türkei sei ein NATO-Mitglied, und die äußere Sicherheit der Türkei werde vom Westen garantiert. "Der Zugang zum europäischen Markt ist für türkische Produkte und Dienstleistungen absolut entscheidend. Europa ist der größte Markt der Welt, und die Türkei will ja wirtschaftlich weiter wachsen."

Es ist an der Zeit, sich ehrlich zu machen

Die Türkei wird auf absehbare Zeit nicht Mitglied der EU werden, die Beitrittsverhandlungen könnten deshalb auch beendet werden, sagte er auch im Interview bei WDR 5. "Wir verhandeln seit elf Jahren über diesen so genannten Beitritt. Die Beziehungen haben sich seitdem nicht etwa verbessert, sie haben sich verschlechtert."

Deshalb sagen dieFreie Demokraten: "Es ist an der Zeit, sich ehrlich zu machen und diesen verunglückten Beitrittsprozess zu ersetzen durch einen Grundlagenvertrag. Durch etwas, wo man nicht einen Beitritt im Blick hat, sondern wo man die Zusammenarbeit im Blick hat, bei der Energie, im Tourismus, in der Wissenschaft.!

Gemeinsame Anstrengungen bei der Verteilung von Flüchtlingen

Im Interview mit dem Inforadio hat Lambsdorff zudem gemeinsame Anstrengungen bei der Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Staaten gefordert. Vor allem die wieder steigende Zahl afrikanischer Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa kommen, erfordere eine "Koalition der Willigen", die vorangehen. 

Der FDP-Politiker kritisierte dabei die Politik der Bundesregierung. Deutschland habe jahrelang auf der Bremse gestanden, wenn es um die Entwicklung eines europäischen Flüchtlingskonzepts gegangen sei. Es sei versäumt worden, bereits vor der Krise mit den mittel- und osteuropäischen Staaten über ein gemeinsames Konzept zu sprechen, erklärte Lambsdorff. 

"Europa funktioniert nicht mit Zwang, sondern Europa funktioniert durch das gemeinsame Beachten des Rechts. Und insofern, das ist die existentielle Frage für europäische Solidarität in den nächsten Jahren in meinen Augen."

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